Der Aufruhr in den Cevennen

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Ludwig Tieck
* 1773 † 1853

Der Aufruhr in den Cevennen ist eine unvollendete[1] Novelle in vier Abschnitten von Ludwig Tieck, deren erster und zweiter Abschnitt 1826 bei Reimer in Berlin erschien.

Der junge Edmund von Beauvais „wendet sich vom eifrigen Katholiken zum Hugenotten“ und kämpft in den Reihen der Kamisarden gegen die Truppen des katholischen Königs.

Die Novelle handelt 1703 nahe bei Florac in den Cevennen.

Am 22. Oktober 1685[2] widerrief Ludwig XIV. das Edikt von Nantes. Darauf kämpften die Kamisarden, wie die Hugenotten in den Cevennen hießen, um ihre Religionsfreiheit.

Der Kamisarde Cavalier gibt sich nach einem verlorenen Gefecht gegen die Truppen des Königs als Müllerbursche „Montan, oder Wilhelm“ aus und findet Obdach im Hause des katholischen Parlamentsrates von Beauvais. Edmund, der Sohn des Hauses, muss mit Verwunderung feststellen, wie der Gast in der Nacht das gewaltsame Eindringen angriffslustiger Kamisarden mühelos vereitelt.

Tage später sucht der Intendant[3] von Basville den Parlamentsrat auf und wirft ihm vor, flüchtige Rebellen beherbergt und beköstigt zu haben. Außerdem nimmt der Intendant dem Parlamentsrat übel, dass dieser dem Sohn Edmund nicht erlaubte, Jagd auf Kamisarden zu machen. Des Weiteren kann sich der Intendant mit dem Auftreten von Christine de Castelnau – das ist die Braut Edmunds – nicht abfinden. Christine hatte den Marschall von Montrevel – das ist der Oberbefehlshaber der königlichen Truppen in den Cevennen – in der Öffentlichkeit vorgeworfen, wehrlose Frauen und Kinder, angeblich Helfershelfer der Kamissarden, erschossen zu haben.

Alle diese Vorkommnisse zusammen genommen bewirken in dem guten Katholiken Edmund eine Umkehr. Er will hinauf ins Gebirge und sich den Empörern anschließen. Den Segen des Vaters erhält er zunächst nicht. Doch der Parlamentsrat, im Grunde ein Freund der „Unglückseligen“, lässt schließlich den Sohn doch ziehen und gibt ihm sogar Geld mit.

Edmund besitzt übernatürliche Fähigkeiten. Sein „inneres Auge“ kann einen Boten „hinter dem Berge“ sehen. Edmund weiß auch, wo der Kurier seine Botschaft verbirgt. Außerdem kann Edmund erstaunlicherweise die geheime Rede ziemlich weit entfernt spazierender Gesprächspartner verstehen.

Roland, Anführer der Kamisarden, überlässt den Befund, ob Edmund „treu“ ist, einem der Propheten unter den Aufrührern. Edmund wird als Bruder aufgenommen und staunt, als er im Lager Cavalier begegnet. Edmund will – als Neuling unter den Kamisarden – dem gefangenen Räuber Lacoste das Leben retten. Er erreicht dieses Ziel mit Cavaliers Unterstützung.

Edmund erhält Besorgnis erregende Nachricht von daheim. Der Vater wurde zum Intendanten nach Nîmes zitiert. Derweil plünderten die Soldaten des Königs das Vaterhaus und zündeten es an. Edmund muss hinab ins Tal. In der Ruine begegnet er dem Vater. Dieser beschwört den Sohn, mit ihm zusammen das Land zu verlassen. Doch Edmund will die Rache. Der Vater sieht das ein und verbirgt sich in einem abgelegenen Dorfe vor dem Intendanten.

Auch Cavalier hat, wie Edmund, „das prophetische Gesicht“. Oben im Gebirge hat er ein solches: Drunten im Tale wurde ein Kurier mit wichtigen Depeschen an den Marschall von Montrevel nach Nîmes geschickt. Die Kamisarden fangen den Kurier tatsächlich ab und geraten in den Besitz seiner Briefschaften. Somit wird die Stellung der königlichen Truppen bekannt. Zur Vorbereitung eines Präventivschlages soll ein Kundschafter ausgeschickt werden. Edmund bietet sich an und wird ausgewählt.

Also begibt sich Edmund wiederum hinab ins Tal und trifft in einem Dorfe nahe bei Florac auf den alten katholischen Priester und Namensvetter Edmund Watelet. Der alte Mann erzählt Edmund Wunderdinge: Als junger Mann hatte er zwei Freunde: Lacoste und Edmunds Vater. Watelet findet, Edmund sähe seinem Vater „sehr ähnlich“. Und von seiner Jugendliebe erzählt der alte Mann, von der schönen Euphemia. Aber das Mädchen wurde damals Nonne und Watelet wurde Mönch. Edmund von Beauvais gibt sich dem Alten noch nicht zu erkennen.

Es kommt, wie es kommen muss. Die Kamisarden gehen zu dem angekündigten Angriff über. Das Dorf Watelets wird verwüstet. Die Katholiken werden „geschlachtet“ – in der Sprache der Kamisarden, „die Abgöttischen werden hingerichtet“. Von den Katholiken überlebt nur Watelet – wie durch ein Wunder – verwundet das Blutbad. Edmund von Beauvais gibt sich dem Alten zu erkennen und beschützt ihn. Vor der ruinierten Dorfkirche begegnen die beiden Lacoste.

Zusammen mit Watelet macht sich Edmund von Beauvais auf den Weg nach Florac. Unterwegs kommt es noch zu einer wundersamen Annäherung. Die beiden passieren das Dorf, in dem Edmunds Vater Unterschlupf gefunden hat. Der junge Edmund hat ein weiteres Mal eines der Gesichte, „sieht die Gestalten seines Innern“, „sieht“ seinen Vater, der sich ganz nahe in einem Bauernhause aufhält – und geht vorbei.

Ein großes Wunder beschließt die Novelle. Das Schloss, das Euphemia beherbergte, wurde von den Kamisarden abgebrannt. Die todkranke Nonne konnte sich in den nahen Wald retten. Sich wieder findend, sterben die beiden Geliebten, der Priester und die Nonne, gemeinsam im Walde.

„Keiner steht so fest, daß er nicht fallen könnte.“[4]

„Es muß herrlich sein, alle Gedanken, die uns von Gott erlaubt sind, zu begreifen.“[5]

Selbstzeugnisse

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  • Schon im Jahre 1820 fing ich diese Erzählung an. Ich lernte auf der Rückreise von Italien im Jahre 1806 den Herrn Sinclair in Frankfurt am Main kennen, der mir drei Schauspiele über diese höchst merkwürdige Begebenheit mitteilte.[6]
  • Meine Dichtung war aber fast schon vollendet, als ich die „Histoire des Troubles des Cevennes“, im Jahre 1819 zu Alais neu gedruckt, kennenlernte. Offenbar die beste Schrift über diesen Gegenstand.[7]
  • Josef von Hormayr lobt in einem Brief vom 20. November 1826 an Tieck die Novelle: „Da ich selbst den Tirolerkrieg von 1809 geleitet habe und den Gebirgskrieg und den Volkskrieg genau kenne, mögen Sie auch die Steigerung des Eindrucks ermessen, den die ungeheure psychologische Wahrheit, die grandiose Anordnung des Ganzen, die präzise Charakteristik, die hohe Ruhe in der beständigen Unruhe, das Unbewegliche im ewig Beweglichen auf mich gemacht haben. Ich weiß diesen Eindruck mit nichts zu vergleichen, seit langen Jahren in unserer wahrlich verhängnisreichen Zeit“.[8]
  • Wilhelm Schlegel nennt die Cevennen am 30. März 1828 in einem Brief an Tieck „ein hinreißendes Werk“.[9]
  • Hesse möchte die Novelle in seine Bibliothek der Weltliteratur aufnehmen.[10]
  • Nach Paulin[11] ahme Tieck in dieser „Großnovelle“ Walter Scott nach.
  • Tieck erzähle spannend auf realer Basis „in der Freiheit, die ihm der nichtdeutsche Stoff“[12] bietet.
  • Als Edmund das Vaterhaus in Schutt und Asche liegen sieht, kommt ihm eine schmerzliche Erkenntnis. Er hat die Zerstörung verschuldet.[13]
  • Am Ende der Novelle steht Edmund an einem Scheideweg und muss sich fragen: Soll er den Weg des Räubers Lacoste oder den des Priesters Watelet gehen?[14]
  • Die Novelle ist gegen den „Parteienhaß“ geschrieben.[15]
  • Tieck sucht den Schlüssel für das Verständnis der schrecklichen Umbrüche, die 1789 – von Frankreich her kommend – Europa überraschten und 1813 ein vorläufiges Ende fanden. Als der Autor 1826 die Novelle publizierte, stand die nächste Revolution, wiederum aus Frankreich, bevor.[16]
  • Kern sieht im Priester Watelet „ein Modell“ Tiecks „für den künftigen Menschen“.[17] Es geht um die „Lehre der Duldung“.[18]
Quelle
  • Gotthold Ludwig Klee (Hrsg.): Tiecks Werke. Dritter Band. Der Aufruhr in den Cevennen. S. 219–457 in Meyers Klassiker-Ausgaben. Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1892. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe.
Erstausgabe
  • Ludwig Tieck: Der Aufruhr in den Cevennen. Eine Novelle in vier Abschnitten. 1. und 2. Abschnitt. G. Reimer Berlin 1826. Marmoriert, Halbleder mit Rückenschild
Ausgaben
  • Ludwig Tieck: Der Aufruhr in den Cevennen. Herausgegeben von Hans-Joachim Polleichtner, hohesufer.com, Hannover 2009; ISBN 978-3-941513-03-7
  • Christoph Lenhartz, Hans W. Goll (Hrsg.): Ludwig Tieck: Der Aufruhr in den Cevennen. Editions La Colombe 2001; ISBN 978-3-929351-13-2
  • Ludwig Tieck: Der Aufruhr in den Cevennen. Zenodot Verlagsgesellschaft 2007; ISBN 978-3-86640-212-6
  • Ludwig Tieck: Der Aufruhr in den Cevennen. Roman, Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 1987 (Taschenbuch Rowohlt Jahrhundert Band 6); ISBN 3-499-40006-5
Sekundärliteratur
  • Hermann Hesse: Eine Bibliothek der Weltliteratur. Reclams Universalbibliothek Nr. 7003. Leipzig 1957. Mit einem Nachwort des Autors vom Dezember 1948
  • Johannes P. Kern: Ludwig Tieck: Dichter einer Krise. S. 154–178. Lothar Stiehm Verlag Heidelberg 1977. (= Poesie und Wissenschaft, Band 18)
  • Roger Paulin: Ludwig Tieck. J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1987. Reihe: Sammlung Metzler; M 185; ISBN 3-476-10185-1
  • Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 2. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806–1830. München 1989; ISBN 3-406-09399-X; S. 519.
  • Armin Gebhardt: Ludwig Tieck. Leben und Gesamtwerk des „Königs der Romantik“; Tectum Verlag Marburg 1997; ISBN 3-8288-9001-6; S. 296–300.
  • Martina Schwarz: Die bürgerliche Familie im Spätwerk Ludwig Tiecks. „Familie“ als Medium der Zeitkritik; in: Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 403. Königshausen & Neumann Würzburg 2002; ISBN 3-8260-2289-0; S. 131–168

Einzelnachweise

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  1. Schulz, S. 519, 24. Z.v.o.
  2. Quelle, S. 236, Fußnote 3
  3. bürgerlicher Präfekt
  4. Quelle, S. 428, 4. Z.v.o.
  5. Quelle, S. 442, 16. Z.v.u.
  6. Aus dem Vorwort der Erstauflage vom Juni 1826, Quelle, S. 225, 1. Z.v.o.
  7. Aus dem Vorwort der Erstauflage vom Juni 1826, Quelle, S. 226, 1. Z.v.o.
  8. zitiert bei Klee in der Quelle, S. 224, 1. Z.v.o.
  9. zitiert bei Gebhardt, S. 299, 19. Z.v.o.
  10. Hesse, S. 31, 1. Z.v.u.
  11. Paulin, S. 89, 17. Z.v.u.
  12. Schulz, S. 519, 26. Z.v.o.
  13. Schwarz, S. 145, 8. Z.v.o.
  14. Schwarz, S. 149, 21. Z.v.o.
  15. Kern, S. 155, 9. Z.v.o.
  16. Kern, S. 166 oben
  17. Kern, S. 166, 9. Z.v.u.
  18. Kern, S. 163, 10. Z.v.o.

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