In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre trat in West-Berlin eine junge Generation von Kunststudenten auf, die nicht mehr wie ihre Professoren abstrakt oder informell arbeiten wollte und einen Neuen Realismus propagierte.
1964 gründeten Studenten der HdK die Künstlerselbsthilfegalerie Großgörschen 35 mit dem Ziel der Überwindung gängiger Marktstrategien. Angeregt von der Politisierung der Gesellschaft durch die 68er-Bewegung, die Erschießung Benno Ohnesorgs bei der Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin gegen den Schah von Persien und das Attentat auf Rudi Dutschke, formierten sich die Künstler des Kritischen Realismus. Mit Hilfe der Überpointierung, Karikaturzeichnung und Montagetechnik suchten sie die Auseinandersetzung mit der unpolitischen Idylle des in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufgeblühten Wohlstandsbürgertums. Sie prangerten Krieg, Terror, Ausbeutung und Korruption an, wiesen auf das Leid der Hilflosen und gescheiterten Existenzen oder lenkten den Blick auf Randgruppen der deutschen Gesellschaft.[1] Der Kritische Realismus galt für längere Zeit geradezu als Identitätsmarke für West-Berliner Kunst. Galeristen wie Georg Nothelfer, Rudolf Springer, Michael Wewerka, Mike Cullen, René Block oder Eva Poll bauen das Berlin-Image auf.[2] 1968 spaltete sich die Künstlergruppe der Großgörschengalerie in expressiv arbeitende Maler wie Markus Lüpertz und Karl Horst Hödicke und in Kritische Realisten wie Peter Sorge, Ulrich Baehr, Hans-Jürgen Diehl und Wolfgang Petrick. Die im selben Jahr gegründete Galerie Poll nahm die Realisten in ihr Programm auf.[3]
1972 zeigte die documenta 5 unter der Leitung von Harald Szeemann Maler des amerikanischen Fotorealismus wie Chuck Close und Ralph Goings, die in ihren Gemälden Lastkraftwagen, Trucks und Pick Ups, Spiegelungen auf verchromten Stoßstangen sowie Gegenstände auf Tischen in Restaurants, Zahnstocherbehälter, Salz- und Pfefferstreuer oder Ketchupflaschen darstellten. Die ersten Rezensionen der in Kassel ausgestellten Maler glichen Verrissen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. Juli 1972 war von „pedantesken Galanteriewaren“ die Rede. Weiter hieß es, Pedanterie ersetze Genie. Die Kritischen Realisten verwendeten zwar wie die Amerikaner Fotografien als Vorlage für ihre Arbeiten, doch montierten sie die Bilder als Versatzstücke und stellten sie in andere Zusammenhänge, bezogen sich auf Vorbilder wie George Grosz, Hannah Höch oder John Heartfield, das Prinzip Collage und Dada. Als Reaktion auf die „ausschließlich technizistische Wiedergabe von Umweltdetails in einer Malerei, die nur auf Vordergründigkeit zielt“, gründeten elf West-Berliner Künstler und Künstlerinnen die Gruppe Aspekt.
Der erste gemeinsame Auftritt der Gruppe fand 1972 auf der Freien Berliner Kunstausstellung statt. Eine erste Wanderausstellung wurde unter dem Titel Prinzip Realismus von 1972 bis 1974 in verschiedenen europäischen Ländern veranstaltet. 1977 wurde unter dem Motto Aspekt Großstadt ein weiteres Projekt verwirklicht. Als gemeinsame Ausgangsbasis einigte man sich auf das Triptychon„Großstadt“ von Otto Dix.
Die Künstler der Gruppe hatten kein fest umrissenes Programm und arbeiteten in „geschlossenen Ateliers“ unabhängig an ihren Konzeptionen. Themen-, Material- und Motivwahl sollten individuell bleiben.[4] Gemeinsam war allen, neben der realistischen Intention, das Bedürfnis der Abgrenzung gegenüber den amerikanischen Foto- und Hyperrealisten und der Anspruch, politische Erfahrungen in einer künstlerischen Produktion zu reflektieren.[5] Nach 1978 wurde kein weiteres Projekt als Gruppenarbeit verwirklicht.
1980: feministische kunst internationaal, de Osterpoort, Groningen; Noordbrabants Museum, Den Bosch; de Vleeshal, Middelburg; de Vest, Alkmaar; Cultureel Centrum de Beyerd, Breda
Berlin now. Contemporary Art 1977. Goethe-House New York, Deutscher Akademischer Austauschdienst und Senat für Kunst und Wissenschaft, Berlin/New York 1977.
Jörg-Uwe Albig: Sind die Neo-Realisten Künstler oder bloß Kopisten? In: art – Das Kunstmagazin. Nr. 3/März 1986, S. 8, 9.
Frank Nicolaus: Zuspruch und Kritik in Rufweite wissen. (Art-Serie Künstlerpaare: Peter Sorge und Maina-Miriam Munsky). In: art – Das Kunstmagazin. Nr. 9/September 1986, S. 76–85.
Positionen des Realismus 1967-1972-1987. Polleditionen im Verlag der Galerie Poll, Berlin 1987.
Querschnitt. 1968 vor und zurück. Polleditionen, Band 49, im Verlag der Galerie Poll, Berlin 1998.
Lucie Schauer: Ende und Wende. Kunstlandschaft Berlin von 1945 bis heute. (Statement-Reihe S 28). Lindinger + Schmid, Regensburg 1999.
Jan Schüler: Die Angst wegmalen. Über die Geburt, den Tod und die Wandlung im Leben. In: Maina-Miriam Munsky. Die Angst wegmalen. Bestandsverzeichnis der Gemälde und Zeichnungen 1964–1998. Verlag Kettler, Bönen 2013, ISBN 978-3-86206-292-8.
Aspekt. In: Christoph Wilhelmi: Künstlergruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit 1900. Ein Handbuch. Hauswedell, Stuttgart 1996, ISBN 3-7762-0400-1, S. 69–70 (Nr. 21).
↑siehe: Jan Schüler, Maina-Miriam Munsky. Die Angst wegmalen. Bestandsverzeichnis der Gemälde und Zeichnungen 1964–1998. Verlag Kettler, Bönen 2013, S. 23, 24, ISBN 978-3-86206-292-8.
↑siehe: Lucie Schauer: Ende und Wende. Kunstlandschaft Berlin von 1945 bis heute. (Statement-Reihe S 28). Lindinger + Schmid, Regensburg 1999.
↑siehe: Jan Schüler, Maina-Miriam Munsky. Die Angst wegmalen. Bestandsverzeichnis der Gemälde und Zeichnungen 1964–1998. Verlag Kettler, Bönen 2013, S. 26, ISBN 978-3-86206-292-8.