Helmut Ridder (* 18. Juli1919 in Bocholt; † 15. April2007 in Biebertal) war ein deutscher Verfassungsrechtler und Professor für Öffentliches Recht und die Wissenschaft von der Politik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Dort gehörte er zu den Gründungsprofessoren der erst 1965 wieder eröffneten rechtswissenschaftlichen Fakultät; diese war 1946 aufgrund kriegsbedingter Zerstörungen geschlossen worden. Der undogmatisch linksgerichtete Ridder galt als ein politischer Professor und trug zur Entwicklung des sogenannten „Gießener Modells“ der Juristenausbildung bei, wobei Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Politikwissenschaft miteinander verzahnt werden.
Helmut Ridder war ab 1951 als Hochschullehrer an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und ab 1959 an der Universität Bonn tätig, wo er u. a. Arbeiten über „Kirche – Staat – Rundfunk“, „die verfassungsrechtliche Stellung der Gewerkschaften“ und „Enteignung oder Sozialisierung“ verfasste. Von 1957 bis 1969 war Ridder Mitglied der rechts- und staatswissenschaftlichen Sektion der Görres-Gesellschaft und der Redaktion der 6. Auflage des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft, für das er zahlreiche Beiträge verfasste.[1]
Der Gießener Rechtswissenschaftler Gerhard Köbler würdigte 1982 die Berufung Ridders im Jahr 1965 an die Universität Gießen so:
„Mit ihm gewann die Fakultät einen erfahrenen und profilierten Ordinarius, der vor und nach seiner Berufung nach Gießen zu vielen verfassungspolitischen Streitfragen entschieden und mit brillanten Formulierungen Stellung bezog.“[2]
In einem Nachruf auf Helmut Ridder in der Zeitung der Justus-Liebig-Universität uniforum hieß es:
„Er stand als ‚politischer Professor‘ in der Tradition der Göttinger Sieben und der Professoren des Paulskirchenparlaments und setzte seine wissenschaftliche Kompetenz für die Sicherung und Fortentwicklung der demokratischen, freiheitlichen Republik und deren friedensorientierter Politik ein. (…) Bahnbrechend war sein sehr frühes Engagement für eine Versöhnung mit Polen als praktische Friedensarbeit.“[3]
Über die Vergabe des Demokratiepreises an Daniel Goldhagen war es 1997 zu einem Streit unter den Herausgebern der Blätter gekommen. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen legte Helmut Ridder seine Mitarbeit im Herausgeberkreis der Zeitschrift nieder.[4]
Nach der Darstellung Karl-Heinz Ladeurs verstand Helmut Ridder die Grundrechte nicht als klassische Abwehrrechte. Seine Grundkonzeption war die einer eigenständigen Sphäre des Öffentlichen. Dieses stehe nicht in Harmonie mit dem Staat und unterliege nicht der staatlichen Entscheidung. „Prinzipiell muss nämlich der Konflikt zwischen einer Meinung (insbesondere in der Presse) und dem staatlichen Interesse ausgehalten werden, er kann – vom Verfahren der Aberkennung der Grundrechte in Art. 18 GG abgesehen – nicht durch staatliche Entscheidung ausgeräumt werden.“[5]
Helmut Ridder (1919–2007). Das Gesamtwerk. Werkausgabe in 6 Bänden. Hrsg. von Friedrich-Martin Balzer „für Einsteiger und Fortgeschrittene“. CD-ROM. 4. Auflage. Bonn 2013, ISBN 978-3-89144-441-2.[6]
Die deutsch-deutsche Spionage im Okular der westdeutschen Deutschland-Jurisprudenz. Edition Blätter, Blätter Verlagsgesellschaft, Bonn 1996, ISBN 3-9804925-0-8.
mit Richard Bäumlin: Art. 20 Abs. 1 – 3 III. Rechtsstaat. In: Axel Azzola u. a.: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Band 1. Art. 1–20 (Reihe Alternativkommentare hrsg. von Rudolf Wassermann). 2. Auflage. Luchterhand, Neuwied/Darmstadt 1989, S. 1340–1389.
mit Friedhelm Hase und Karl-Heinz Ladeur: Nochmals: Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat? In: Juristische Schulung. 1981, S. 794–798.
Der Grundrechtsschutz des Eigentums, seine Grenzen und Beschränkungen im öffentlichen Interesse. In: Grundrechtsschutz des Eigentums (Publ. d. Österr. Juristenkommission zu Ehren von Otto Lachmayer mit Beiträgen von Hans Spanner, Peter Pernthaler und Helmut Ridder). Heidelberg/Karlsruhe 1977, ISBN 3-8114-2977-9.
Zum staatstragenden Opportunismus der Rechtsprechung zur Meinungsäußerungsfreiheit. In: Helmut Ridder: Die soziale Ordnung des Grundgesetzes. Leitfaden zu den Grundrechten einer demokratischen Verfassung. Opladen 1975, S. 75–83, Volltext (Memento vom 6. Juni 2011 im Internet Archive).
Dieter Deiseroth, Friedhelm Hase, Karl-Heinz Ladeur (Hrsg.): Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft. Festschrift für Helmut Ridder zum 60. Geburtstag. EVA, Frankfurt am Main 1981.
Joachim Perels: Wider die Umwandlung von Macht in Recht. Zum Tod von Helmut Ridder (1919–2007). In: Kritische Justiz. Band40, Nr.2, 2007, ISSN0023-4834, S.196–198, doi:10.5771/0023-4834-2007-2-196.
Christoph Koch (Hrsg.): Politik ist die Praxis der Wissenschaft zum Notwendigen. Helmut Ridder (1919–2007). Meidenbauer, München 2010, ISBN 978-3-89975-205-2.
Tim Wihl: Ein Radikaler wider Willen. Zum 100. Geburtstag des Verfassungs- und Bürgerrechtlers Helmut Ridder. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 64, 2019, S. 89–96.
Isabel Feichtner, Tim Wihl (Hrsg.): Gesamtverfassung. Das Verfassungsdenken Helmut Ridders. Nomos. Baden-Baden 2021, ISBN 978-3-8487-7024-3.
↑Alexandra Kemmerer: Der katholische Helmut Ridder. Ausgangspunkte einer Spurensuche. In: Isabel Feichtner, Tim Wihl (Hrsg.): Gesamtverfassung. Das Verfassungsdenken Helmut Ridders. Nomos, Baden-Baden 2021, ISBN 978-3-8487-7024-3, S.37–64.
↑Heinhard Steiger: Prof. Helmut Ridder. In: uniforum. Nr. 2 vom 16. Mai 2007, S. 12.
↑Klaus Naumann: Nachrüstung und Selbstanerkennung. Staatsfragen im politisch-intellektuellen Milieu der „Blätter für deutsche und internationale Politik“. In: Dominik Geppert, Jens Hacke (Hrsg.): Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960–1980. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-36758-2, S.269ff., 278 Fn. 28.
↑Karl-Heinz Ladeur: Helmut Ridders Konzeption der Meinungs- und Pressefreiheit in der Demokratie. In: Kritische Justiz. Jahrgang 32 (1999), Heft 2, Volltext