Wilma Neruda war die Tochter des Brünner Domorganisten Josef Neruda (* 16. Januar 1807 in Mohelno, Bezirk Trebitsch; † 18. Februar 1875 in Brünn) und der Pianistin Francisca Neruda geb. Merta (1817–1881). Sie erhielt mit ihren Geschwistern Musikunterricht von ihrem Vater und ihrer Mutter.[1] Sie sollte ursprünglich zur Pianistin ausgebildet werden, setzte sich aber mit dem Wunsch durch, Violinistin zu werden[2] – ein im 19. Jahrhundert für Frauen noch wenig akzeptiertes Instrument.[3] Nachdem die Familie nach Wien gezogen war, studierte sie bei Leopold Jansa. Sie debütierte im Dezember 1846 zusammen mit ihrer Schwester, der Pianistin Amalie,[1] im Wiener Musikvereinssaal. In den folgenden Jahren unternahm sie mit dem Neruda-Quartett, bestehend aus ihrem Vater (Viola), ihrer Schwester Maria (Violine) und ihrem Bruder Viktor († 1855) (Cello), längere Konzertreisen durch europäische Städte.[4] Ihr Bruder Franz Xaver Neruda (1843–1915) wurde ebenfalls Violoncellist. Ihre Schwester Amalie, später verh. Wickenhauser, wurde Pianistin und Klavierpädagogin.[5]
Ab 1864 war sie mit dem königlich schwedischen Hofkapellmeister Ludvig Norman (1831–1885) vermählt. Die Hochzeit fand in ihrer Heimat Brünn statt. Aus dieser Ehe ging der Sohn, Ludwig Norman-Neruda (1864–1898) hervor, der später ein bekannter Alpinist wurde.
Von 1867 bis 1871 unterrichtete Wilma Neruda an der Königlichen Musikakademie in Stockholm. Nach der Trennung von ihrem Ehemann lebte sie ab 1870 meist in London, wo sie zusammen mit dem Londoner Pianisten Sir Charles Hallé (1819–1895) sowohl als Solo- wie als Quartettspielerin der Popular Concerts in hohem Ansehen stand und weltweiten Erfolg hatte. Zu ihren besonderen Gönnern gehörten die Könige von England, Dänemark und Schweden. Ab 1876 spielte sie eine Stradivariusgeige, die ihr der Herzog von Sachsen-Coburg, der Earl Dudley und der Earl of Hardwicke geschenkt hatten.[6]
1885 heiratete sie ihren langjährigen Konzertpartner Charles Hallé und konzertierte fortan unter dem Namen Lady Hallé. Das Paar tourte 1891 durch Australien und 1895 durch Südafrika.[7] Nach dem Tod Hallés zog sie mit ihrem Sohn nach Asolo in Oberitalien. Dort wurde ihr aus Anlass ihres 50-jährigen Bühnenjubiläums und ihres 25. Jahrestages „ihres ersten Erscheinens vor einem englischen Auditorium“ eine Villa gestiftet, die ihr vom Prince of Wales, der Marquise von Lorne sowie einer großen Anzahl „von Künstlern und Mitgliedern der Aristokratie“ überreicht wurde.[8]
1895 zog sie nach Berlin, lehrte dort von 1900 bis 1902 am Stern’schen Konservatorium und unternahm weiterhin Konzertreisen.[9] Wilma Neruda verstarb 1911 in Berlin. Sie galt als die berühmteste Geigerin ihrer Zeit.
Die wissenschaftliche Erforschung ihrer Biografie und künstlerischer Laufbahn erfolgte erstmals umfänglich durch Jutta Heise: Die Geigenvirtuosin Wilma Neruda (1838–1911). Biografie und Repertoire, Hildesheim u. a. Olms 2013.
Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, herausgegeben im Auftrag des Collegium Carolinum, Band III, R. Oldenbourg Verlag, München 2000, ISBN 3 486 55973 7, S. 25.
John Clapham: Art. „Neruda,Wilma“. In: Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Vol. 17, 2nd. edition, London 2001, S. 768.
Undine Wagner: Art. „Neruda, Wilhelmina (Maria Františka)“. In: Ludwig Finscher (Hg.), Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil Bd. 12, Kassel 2004, Sp. 996f.
Robert W. Eshbach: Wilhelmine Maria Franziska Norman-Neruda, Lady Hallé. In: Die Tonkunst, Nr. 2, Jg. 5 (2011), ISSN1863-3536, S. 191–195.
Jutta Heise: „Wilma Neruda, verw. Norman, verh. Hallé, gen. Lady Hallé“. In: Carolin Stahrenberg und Susanne Rode-Breymann (Hg.): „... mein Wunsch ist, Spuren zu hinterlassen ...“ Rezeptions- und Berufsgeschichte von Geigerinnen. Hannover 2011, S. 45–63.
Jutta Heise: Die Geigenvirtuosin Wilma Neruda (1838–1911). Biografie und Repertoire. Georg Olms Verlag, Hildesheim u. a. 2013, ISBN 978-3-487-14871-7
Jutta Heise: „Das Leben der Geigerin Wilma Neruda im Kontext Gender. Biographie als Forschungsschwerpunkt der Musikgeschichte“. In: Corinna Onnen und Susanne Rode-Breymann (Hg.): Wiederherstellen – Unterbrechen – Verändern?Politiken der (Re-)Produktion. Opladen 2018, S. 243–260.
Yuki Melchert: Gabriele Wietrowetz. Ein „weiblicher Joachim“? Ein Beitrag zur Künstlerinnensozialgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Georg Olms Verlag, Hildesheim u. a. 2018, bes. S. 337, 458.
Jutta Heise: Artikel „Wilma Neruda“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 17. April 2018.
Yvonne Amthor/Volker Timmermann: Art. „Neruda, Wilma“. In: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. 2013. Online-Lexikon des Sophie Drinker Instituts, hrsg. von Freia Hoffmann.
↑Vgl. Neues Wiener Journal vom 20. April 1911, S. 3 (Digitalisat).
↑U.a. aufgrund von zeitgenössischen Urteilen, das Geigenspiel (sowie auch das Cellospiel und das Spielen von Blasinstrumenten) sei unschicklich für Frauen aufgrund der Körperhaltung und des Aussehens, vgl. Freia Hoffmann und Volker Timmermann (Hg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, Hildesheim u. a. 2013, S. 7–17; vgl. auch weiterführend Freia Hoffmann: Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Leipzig und Frankfurt a. M. 1991.
↑Jutta Heise: Artikel „Wilma Neruda“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 17. April 2018.
↑Siehe weiterführend: Annkatrin Babbe: Art. „Neruda, Amalie verh. Wickenhauser, Wickenhauser-Neruda“. In: Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. 2014. Online-Lexikon des Sophie Drinker Instituts, hrsg. von Freia Hoffmann.
↑Vgl. Neues Wiener Journal vom 20. April 1911, S. 3 (Digitalisat).
↑Yuki Melchert: Gabriele Wietrowetz. Ein „weiblicher Joachim“? Ein Beitrag zur Künstlerinnensozialgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Hildesheim u. a. Olms 2018, S. 337.
↑Wiener Zeitung vom 22. Mai 1896, S. 7 (Digitalisat).
↑Yuki Melchert: Gabriele Wietrowetz. Ein „weiblicher Joachim“? Ein Beitrag zur Künstlerinnensozialgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Hildesheim u. a. Olms 2018, S. 337, 458.