Willy Katzenstein studierte Rechtswissenschaften und wurde 1897 zum Dr. jur. promoviert.[1] Danach wurde er in Bielefeld als Rechtsanwalt und Notar tätig. Hier engagierte er sich auch politisch für die liberale Deutsche Demokratische Partei im Magistrat. Er war Provinzialvorsitzender der DDP. 1920 wurde er für den Wahlkreis Stadt Bielefeld in den Provinziallandtag der Provinz Westfalen gewählt.[2]
Nach dem Tod seines Onkels, des Bankiers und langjährigen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Moritz Katzenstein, wurde er 1908 zu dessen Nachfolger im Leitungsausschuss des Verbandes der Synagogengemeinden Westfalens und am 17. Januar 1933 zum Vorsteher der jüdischen Gemeinde Bielefeld gewählt. Aufgrund seines jüdischen Glaubens wurde er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verfolgt.
Im Mai 1939 konnte er seine beiden Töchter Marianne und Eva mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit bringen. Das Ehepaar Katzenstein folgte seinen Kindern etwa drei Wochen später in das Londoner Exil.[3]
Mit der Emigration von Katzenstein und Rabbiner Hans Kronheim, der zur gleichen Zeit in die USA auswanderte, verlor die jüdische Gemeinde Bielefeld im Frühjahr 1939 ihre hochqualifizierte tatkräftige Doppelspitze.
Seit Oktober 2013 erinnern in der Bielefelder Viktoriastraße 24 vier Stolpersteine an die Familie Katzenstein. Zur Verlegung waren Familienmitglieder aus den USA, London und Berlin angereist, darunter auch die 88-jährige Eva Roberts geb. Katzenstein: Als wir bei der Ausreise über die holländische Grenze waren, sind wir vor Erleichterung aufgesprungen und haben gerufen: Wir sind raus.[4]
2024 wurde seine Autobiographie (inklusive des Kriegstagebuches) veröffentlicht. Es handelt sich um die Periode 1914–1939. Das Buch wurde eingeleitet und kommentiert von Johannes Altenberend.
Taufjudentum und Antisemitismus. In: Liberales Judentum. Monatsschrift für die religiösen Interessen des Judentums, Jg. 1914, Nr. 6/7, S. 131–134. Abgerufen am 16. Mai 2019.
Alfred Bruns (Hrsg.), Josef Häming (Zusammenstellung): Die Abgeordneten des Westfalenparlaments 1826–1978 (= Westfälische Quellen- und Archivverzeichnisse, Band 2). Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster 1978, S. 369.
Max P. Birnbaum: Staat und Synagoge, 1918–1938: eine Geschichte des Preussischen Landesverbandes Jüdischer Gemeinden (1918–1938), Band 38 von Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts, Leo Baeck Institute, ISSN 0459-097X, 1981, ISBN 978-3-16-743772-8, S. 116, Digitalisat
Monika Minninger, Joachim Meinert, Friedhelm Schäffer: Antisemitisch Verfolgte registriert in Bielefeld 1933–1945. Eine Dokumentation jüdischer Einzelschicksale. Band 4 von Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bielefeld 1985, S. 113
Joachim Meynert, Friedhelm Schäffer: Die Juden in der Stadt Bielefeld während der Zeit des Nationalsozialismus, Band 3 von Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, S. 29, 1983.
Willy Katzenstein: "Der Freiheit Wimpel weht am Mast". Selbstzeugnisse eines westfälischen Juden zwischen Assimilation und Emigration. Eingeleitet und kommentiert von Johannes Altenberend, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen. Neue Folge 87, Bielefeld, 2024, 679 Seiten.
↑Arno Herzig, Karl Teppe, Andreas Determann: Verdrängung und Vernichtung der Juden in Westfalen, Ardey-Verlag Münster 1994, S. 18
↑Brigitte Decker (Hrsg.): Heimweh nach Bielefeld. Vertrieben oder deportiert: Kinder aus jüdischen Familien erinnern sich. Verlag Gieselmann Bielefeld 2007, S. 136–141 ISBN 978-3-923830-59-6
↑Joachim Uthmann: Gedenken an geflohene jüdische Familie. Stolpersteine vor früherem Katzenstein-Haus verlegt – erstmals im Beisein einer direkt Betroffenen. In: Neue Westfälische Bielefeld, 30. Oktober 2013